In der kunsthistorischen Literatur wird Hugo Lederer immer wieder als typischer Vertreter der NS-Kunstauffassung, ja als deren Vorläufer und Formulierer gekennzeichnet. In Arbeiten der Heidelberger Fakultät wird er auch als "wilhelminischer" Künstler bewertet, obwohl Wilhelm II. ihn wegen seiner Bismarckverehrung links liegen ließ! Natürlich ist dies eher stilprägend gemeint, aber was war schon "wilhelminisch"? Zunächst war es konservativ und national bis nationalistisch. Dies ist ganz sicherlich ein Kennzeichen der Zeit, insbesondere auch der Schichten, die sich zu den Gebildeten zählten. Für Bildhauer ist dies außerdem höchst wichtig, ist ihre Kunstausübung von der Umsetzung im öffentlichen Bereich abhängig. Darüber hinaus unterstelle ich Hugo Lederer eine starke Affinität zum Nationalliberalen, was ganz sicher die Grundüberzeugung der Unternehmer kennzeichnete, nicht zuletzt Lederers potenzielle Auftraggeber. Er porträtierte beide Krupp, Gutmann (Dresdner Bank), Hansemann (Deutsche Bank), Duisberg (Leverkusen), Bassermann und Stresemann (beide nationalliberale Politiker), alle zwischen 1907 und 1930. Außerdem entspricht diese gesellschaftspolitische Einstellung der mir aus der Familie zu jener Zeit bekannten Meinungen.
Meisterschüler und politische ÜberzeugungOb ein Professor die herrschende politische Überzeugung aggressiv vertritt, lässt sich sicherlich am besten an seinen Meisterschülern nachweisen. Es ist sehr schwierig, das nachzuvollziehen. Die mir vorliegenden Quellen zeichnen folgendes Bild: Emy Roeder (1922 - 1925) betont die große Freiheit, die Lederer einer der ersten Frauen gewährte, sie musste später emigrieren, lobt ihn aber noch in Schreiben von 1962; Gustav Seitz (Meisteratelier ab 1933) ist als späterer DDR-Künstler völlig unverdächtig.
Lederer entstammt einer Familie, die in einem gesellschaftlichen Geflecht lebte, für das eher ein Idealbild nach Jahnschem Muster existierte. Sportliche Ertüchtigung, natürliche Lebensweise, Gemeinschaftssinn und soziale Verlässlichkeit waren hier Handlungsrichtschnur. Insbesondere das Bild des tüchtigen Körpers, der durchaus auch sich im Kampf zeigte, galt als Ziel und Vorbild (auch wenn man dem ganz persönlich nicht unbedingt glich!). So gesehen haben alle seine Figuren diesem Idealbild entsprochen, wie z. B. der Fechter, bis hin sogar zu seinen Frauenbildern, deren Vorbilder er sich offensichtlich besonders unter Sportlerinnen und Tänzerinnen holte. Dabei war ihm deren "rassische" Zugehörigkeit völlig gleichgültig, sonst hätte er sich wohl kaum Josephine Baker und Anna Pawlowa derart gewidmet. Dem gleichen Grundsatz Jahnscher Prägung entspricht auch die sehr starke Zuwendung zu kraftvollen Tieren. Es wimmelt von Bären, Hirschen und Adlern. Überwiegend gibt es geradezu zarte naturverbundene Darstellungen (s. Bärenbrunnen und Säugende Bärin in Berlin), ganz selten bricht hier sein so kritisierter Hang zum Monumentalen durch. Dies ist eher wieder mehr dem oben konstatierten Zeittrend zuzuordnen, denn dem uniformen Massenidealtyp nationalsozialistischer Prägung mit seiner ästhetisierenden "nordischen" Schönheit, was das auch immer in seiner Oberflächlichkeit realiter sein sollte. Idealisierte Natur, verbrämt durch eine geschönte Wirkung des Kampfes - ganz im Sinne Darwins, der ja zu jener Zeit falsch verstanden zum Grundleger von Lebensanschauungen wurde - schaut einem aus all diesen Skulpturen entgegen, nicht aber Rassenwahn und Idealdiktat. Naturkraft und Naturgewalt scheint das Faszinosum gewesen zu sein, das ihn bewegte. Die Pferde, Männer- und Frauengestalten, im Falle des Fruchtbarkeitsbrunnens auch Rinder, in einer in dieser Gewaltigkeit Staunen machenden technischen Perfektion, sind für mich der Nachweis für diese Behauptung. Statur und Bewegung, je nach Auftrag, fließen in seine Schöpfung ein. Seine zu immer größerer, auch oberflächlicherer Typisierung neigenden Sportlerdarstellungen sind wohl eher einer gewissen Überforderung durch zu viele Aufträge in den 20er Jahren zu erklären, denn als Teil jener glatten, dem Ideal des Wandervogels und einer verklärenden Germanisierung zuneigenden Kreationen von Nazi-Bildhauern (ich verweise auf Lederers Sieger und Läufer). In den Porträts wandte er sich immer stärker markigen Köpfen von Generälen wie Hindenburg, Mackensen, Litzmann, Seldte zu, die sich in der Wehrmacht tummelten und im Brief geradezu rührende Freude bekundeten, von ihm für Skulpturen "würdig" befunden zu werden. Daraus NS-Orientierung herauszulesen, ist wenig historisch, kann man diesen Herren doch sicherlich militaristische, aber keine NS-Gesinnung nachsagen. Zum Beweis für Lederers Urheberschaft von NS-Kunstideologie taugen sie gewiss nicht.
AntisemitismusBleibt die Frage nach Lederers Antisemitismus. In den Unterlagen zu den Auseinandersetzungen um die Aufstellung einer Heine-Skulptur an der Universität Düsseldorf fand Prof. Chantelau in der Biografie Lederers im Archiv für publizistische Arbeit zwei nahezu textgleiche Versionen der Jahre 1931 und 1936, wo in der zweiten ein Passus über das Heine-Denkmal in Hamburg weggelassen ist. Niemand wird behaupten wollen, er habe sich diesem Zeitgeist widersetzt! Wer wirft da den ersten Stein? Wie war das noch einmal mit den Professoren der Heidelberger Universität in den 30er Jahren (s. Heidegger)? Will die wissenschaftliche Leistung dieser Professoren irgendjemand verschweigen, weil sie politisch so gefehlt haben?
Da ist nun Lederers sehr rüde Auseinandersetzung mit Liebermann an der Akademie der Künste in Berlin. Hier drängt sich die Frage auf, wie viel dies auch mit seiner schweren Erkrankung in diesen Jahren zu tun hat, die ihn lange in entsprechende Behandlung zwang. Eine Kennzeichnung seiner Haltung zu Juden lässt sich sicherlich analog der in Österreich weit verbreiteten Bereitschaft finden, die "dem Juden" nichts Gutes zutraute, aber dabei dem persönlich Bekannten ob dessen Person und Leistung volles Vertrauen entgegenbrachte. Dieser etwas sehr einfachen Freund-Feind-Denkweise entspricht aber nicht die fundamentale Vernichtungstheorie der Nazis, sie ist allenfalls wie im Falle Hitler daraus erwachsen. Da muss man schon unterscheiden können! Um Verdächtigungen vorzubeugen: Beides halte ich nicht für akzeptabel, muss aber richtig gewertet werden, um kritisieren zu können. Schönfeldt schreibt:
Dafür, daß Lederer ein Nazi war, gibt es allerdings keine Beweise. Manches spricht vielmehr für einen zunehmenden Entfremdungsprozeß nach 1933. Er erhielt keine nennenswerten Aufträge des NS-Staates oder seiner Organisationen. Er erhielt keine Auszeichnungen oder Orden. Lederer erbrachte nicht den von allen Beamten geforderten "Arier-Nachweis". Nach seinem Tod gab es keinen offiziellen Nachruf durch die Partei.
Für die Behauptung, Lederer sei besonders in seinem Spätwerk NS-konform gewesen, gibt es keine Beweise, er hat nach 1933 schon aus gesundheitlichen Gründen wenig gearbeitet (s. Werkverzeichnis). Neben dem Heine-Denkmal ist seine Grabstele für den der linken Politszene zugehörigen Julius Rodenberg
Liest man die Liste der von NS-Schergen getöteten Personen in Tschechien, dann ist die der Lederers unglaublich lang! Aus tschechischer Quelle weiß ich, dass es in Leitomischl zwei große Lederer-Gruppen gab - die einen jüdisch, die anderen katholisch. Der Vater Hugo Lederers lebte eine Zeit lang als Kind dort, die Familie stammt aber nicht daher. Was davon wusste Hugo Lederer? Hatte er Angst, den "falschen" Nachweis zu bekommen? Ich halte das für wenig wahrscheinlich, denn es gibt Ahnenpässe aus jenen Jahren. Aber diese furchtbare Zeit der Intoleranz und gegenseitiger Verdächtigung trieb seltsame Blüten! Zweifellos ist auch richtig, dass er früh Mitglied in der SA und in den entsprechenden Künstlerorganisationen war. Gibt es aus heutiger Sicht die Möglichkeit, Unterschiede zu machen in Nazis, also Rassisten und KZ-Vernichtungsstrategen, und Mitläufer, um einen Begriff der US-Beurteiler aus der Nachkriegszeit zu benutzen? Und wohin gehört dann Lederer?
Vertretbares Urteil?Dass wir das bei Hugo Lederer je abschließend beurteilen können, halte ich für unwahrscheinlich. Gerade deshalb versuchen wir hier das Werk dieses zweifellos großen Künstlers zu dokumentieren, ohne deshalb die dunklen Seiten seines Lebens zu vertuschen (s. a. Über uns). Gerade in Mannheim aber haben wir ja eine eindeutige Dokumentation, die sehr nachdenklich macht und eine vorschnelle Einordnung verbietet: Das Denkmal für den nationalliberalen Reichstagsabgeordneten Bassermann wurde 1930 im Oberen Luisenpark eingeweiht. Schon 1938 war es durch die SA wieder zerstört. Ist es denkbar, dass eine lokale NS-Einheit das Werk eines in Berlin so groß eingeschätzten NS-Bildhauers vernichtet? Wer über die NS-Strukturen des Befehls und Gehorsams Bescheid weiß, wird dies nicht für möglich halten.
Darum gilt: Die Verfehlungen dieser Zeit sind nicht zu tolerieren, sie totzuschweigen gleicht ihrem Handeln! Es kann ja wohl nicht die Einstellung moderner Kritiker sein, so zu urteilen, weil sein Denken teilweise dem furchtbaren Zeitgeist entsprach? Ist es schon wieder so weit, dass wir das Werk von Menschen nicht gelten lassen, weil sie eine von uns nicht tolerierte Meinung hatten, auch wenn das Werk dies gar nicht ausdrückt? Wir haben doch das Ideal, uns mit den Meinungen unter Achtung ihrer Person auseinanderzusetzen und Pro und Kontra sachlich abzuwägen! Wir sind offensichtlich gar nicht weit von den Strukturen der Weimarer Zeit weg, wenn es wieder möglich ist, andere wegen ihrer Meinung vergessen zu machen bzw. auszustoßen. Wie damals wird es auch zunehmend Brauch, andere vorab abzuwerten, um die eigene Meinung zu überhöhen (s. Migranten, etc.).
Dies ist v. a. eine Homepage, die sich um familiäre Zusammenhänge kümmert. Hier muss deshalb deutlich, also auch mit historischer Grundlegung, aber ohne Ausschluss gesprochen werden dürfen.